Freedom am Bahnhofskai

Rettet die Freedom! Kieler Schiffscrew lebt innovative Organisationskultur

Der nachfolgende Bericht entstand im Auftrag des Magazins woman in the city. Veröffentlicht wurde er in der Frühjahrsausgabe April/Mai 2022.

Der Name des Traditionsseglers ist Programm: Freiheit. Dazu musste zunächst der Rost runter. Nach  4.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit war die marode Freedom wieder flott. Seither liegt sie an der Kieler Hörnspitze. Eigner ist eine Genossenschaft. Sie bekennt sich zum Kollektiv als moderne Form gemeinsamen Schaffens. Ihr Konzept: Ein OpenShip mit Kultur und Bistro für alle.

Die Gangway zur Freedom ist zur Zeit noch hochgezurrt wie eine Zugbrücke ans Burgtor. Dahinter jedoch winkt Sammy Kühne. Sie ermuntert zum Entern des Zweimasters über dessen Reling: „Komm an Bord!“ Ein frischer Südostwind treibt das Wasser an der Kieler Hörnspitze in kleinen Wellen vor sich her. Sie schaukeln das Schiff ganz sachte. Schwungvoll gelingt der Satz ans Deck. Aus dem Bistro  zaubert Ann-Sophie Matt flink Klappstühle hervor. Klar vorn und achtern!

Genossinnen im Selbstmanagement

„An Bord der Freedom gibt niemand Kommandos“, stellt Ann-Sophie klar, „Wir bilden ein Team ohne Chef, ohne obere Machtstruktur. Jedes Mitglied handelt ein Stück weit in eigener Verantwortung. Das heißt, wir sind frei, eigene Ideen einzubringen und entscheiden zusammen, welche wir umsetzen wollen. Nach gemeinsamer Entscheidung, trägt die Person erstmal die Verantwortung und kümmert sich auch um Fehlschläge, die natürlich nicht ausbleiben.“ Öfi, wie die Doktorandin der Meeresbiologie an Bord gerufen wird, kümmert sich um die Finanzen der Genossenschaft und ist mitverantwortlich für das Angebot veganer Kuchen vom Bistro. Als das Schiff aufgebockt auf dem Werftgelände stand, hat sie Rost gekloppt. Die Freedom besitzt ein Stahlskelett. Darauf sind die Holzplanken der Außenwand montiert. „Der Rostnagler erzeugte einen Höllenlärm“, erinnert sich die 29-Jährige, „Aber mir gefiel diese Drecksarbeit. Körperlich hart zu arbeiten, tut mir gut. Es schafft einen Ausgleich zu meiner Tätigkeit im Labor“.

Traditionelle Rollenmuster ablegen

Mitbegründerin Öfi lernte Sammy bei der Autofahrt zur Werft nach Polen kennen. Von der Aktion zur Schiffsrettung hatte sie über Freundinnen und Freunde erfahren. Während aus Furcht vor der Pandemie daheim alles Gesellige untersagt wurde, wirkte die Aussicht auf zwei Wochen Abenteuer im Umbauteam verlockend. „Jede Hand wurde gebraucht“, erinnert sich Sammy, „Mit Holz konnte ich immer schon ganz gut umgehen. Daher machte ich mich ans Ausbessern morscher Bretter“. Die ausgebildete Fotografin kümmert sich in der Genossenschaft um das Booking von Bands sowie Social Media. Sie schlägt ihre langen Beine übereinander und bekennt: „Für mich ist es etwas Besonderes bei der Schaffung eines toleranten Raumes für Kultur an Bord eines Segelschiffes mitzuwirken. Für Männer ist es oft vollkommen normal überall Gehör zu finden, ernst genommen zu werden und mitwirken zu können. Deshalb ist es wichtig, Stimmen von Frauen zu verstärken. Freisein heißt für mich ungeachtet meiner Identität teilhaben zu können. Das heißt, Merkmale wie Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Alter und so weiter. Auf der Freedom kann ich das, anders als im Umfeld von Seemannsgarn, zweifelhaften Legenden und Mythen.“

Vertrauen ins regionale Netzwerk

Für den Fischfang 1945 in Polen gebaut, macht die Freedom bis September ihre vermutlich letzte Stufe der Transformation durch. Ihre Messe wird zum Salon für Gäste.  Dafür mussten einige Kajüten weichen. Deren Abbruchholz türmt sich aktuell an Deck. Den tonnenschweren Pelletofen, der diesen Raum später beheizen soll, hieften sie bereits per Seilwinde nach unten. Während einen der Mut verlassen kann angesichts der gewaltigen Baustelle unter Deck, sieht Theresa Hargesheimer den Raum bereits in neuem Glanz erstrahlen. Sie ist überzeugt von der Anziehungskraft des Traditionsseglers: „Ich habe keine Angst, etwas falsch zu machen“. Ihre blauen Augen strahlen vor Zuversicht. „Klar, wir probieren hier etwas komplett Neues aus. Aber ich vertraue auf das Konzept aus Kunst und Kultur für alle. Wir sind Teil eines Netzwerkes regionaler Kooperationspartner. Mit denen haben wir zuletzt großartige Veranstaltungen organisiert.“ Ein Traum von Freiheit bleibt noch eine Weile unerfüllt: Mit der Freedom auf das offene Meer hinaus segeln zu können. Den Segelschein besitzt die junge Meeres- und Polarforscherin. Jedoch ist der Zweimaster reichlich lang, viel länger als alles, was sie bisher navigiert hat. Und noch fehlt es ihm an brauchbarem Segeltuch.

Veröffentlicht von

panama

das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens bis hoch nach Tromsö. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 35 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews.