Kunst im digitalen Raum

Rundgänge in 3D, Virtual und Augmented Reality – weltweit bauen Museen ihre Online Angebote zum Kunstgenuss aus

Der nachfolgende Bericht entstand im Auftrag der Kunstmarktzeitung „Kunst und Auktionen“. Veröffentlicht wurde er am 24. April 2020 im ZEITVERLAG Gerd Bucerius GmbH & Co KG, Hamburg.

Am Ostermontag hatte es Geburtstag. Das Metropolitan Museum in New York wurde 150 Jahre. Doch die Feier blieb vorerst aus. Seine Türen sind dicht. „Closed but open“ verkündet die Direktion über Social Media. Mit diesem Verweis auf das Internet vertröstet nicht nur einer der ganz großen Kunsttempel Amerikas seine Fans. Die Hashtags #museumfromhome und #closedbutopen machen weltweit die Runde.

Einige Häuser bieten Digitale Führungen, teils als Live-Event, angekündigt über Social Media und die Museumsapp, meist als Aufzeichnung wie der Walkthrough mit dem Kurator der aktuellen Monet Ausstellung vom Barberini in Potsdam. Und das Kunstmuseum im dänischen Humlebaek kann nun mit seinem Fundus aus 750 klasse Videos auftrumpfen. Auf dessen Louisiana Channel geben u.a. Pippilotti Rist, Marina Abramović oder Ai Weiwei intimen Einblick in ihre Arbeits- und Denkweisen.

Spannend wird es jedoch erst, wenn digitale Angebote der Museen über die reine Visualisierung des Realen hinaus gehen. Dann verspricht die digitale Kulturvermittlung zu einen eigenen Erlebnis zu werden. Smartphone und Tablet eignen sich für die meisten dieser Anwendungen besser als Laptop und Computer. Sobald Interaktion erforderlich ist, und sei es nur zum Navigieren durch die digitale Welt, sind deren hochsensible Touchscreens klar im Vorteil. Um das volle Leistungsspektrum der Technik wahrnehmen zu können, ist es ratsam, sich einige kostenlose Apps auf das eigene Gerät herunter zu laden. Für die im Folgenden vorgestellten Anwendungen sind das die von YouTube und Google Arts & Culture sowie Artivive.

Screenshot vom virtuellen Rundgang durch das Nationalmuseum in Bankok

Virtuelle Museumsrundgänge

Grenzen, Länder und Kontinente lassen sich damit digital leicht überwinden, schwerer wiegen Sprachbarrieren. Erläuterungen auf Thai wie beim wirklich sehenswerten 360° Rundgang durch das Nationalmuseum in Bankok sind jedoch selten. Meist wird Englisch als Alternative zur Landessprache angeboten. Auf der Seite des Frida Kahlo Museums in Coyoacán gibt es sogar einiges auf Deutsch. Beim virtuellen 360° Rundgang durch die original möblierten Räume ihrer Casa Azul bleiben wir allerdings allein − er ist ohne Audiospur.

Doch zurück nach New York. Vor zwei Jahren stellte das Metropolitan auf dem Internet-Videoportal YouTube Rundgänge durch sechs seiner Räume ein. Es empfiehlt sich, die preisgekrönten Folgen des The Met 360° Projekt per Smartphone zu schauen. Unter sphärischen Klängen gleitet man in die Szenerie, kann durch Schwenken des eigenen Geräts seine Perspektive ändern, sich annähern oder entfernen. Die Ansichten wechseln von allein, was durch Anhalten des Videos verhindert werden kann. Steigern lässt sich der dreidimensionale Raumeindruck mittels Virtual-Reality-Brille. Dazu legt man sein Smartphone in ein Pappgestell namens Cardboard oder nutzt professionelle VR-Headsets.

Alle Projektpartner von Google Arts & Culture lassen sich über die Weltkarte aufsuchen

Die meisten 360° Streetview Touren stellt die App von Google bereit. Vor acht Jahren gingen die Amerikaner mit ihrer Webanwendung Arts & Culture online. 2.000 Kulturpartner listet das Unternehmen. Punkte auf der Weltkarte markieren deren Standorte. Über sie kommen wir überall rein: Ins MAXXI in Rom, nach Bilbao ins Guggenheim, nach São Paulo ins Museu de Arte, zum Getty Museum in L.A., nach China in das Suzhou Museum oder in die St. Petersburger Eremitage. Durch deren Räume flanieren wir wie durch Straßenzüge großer Städte bei Google Maps.

Andere wie das Teatro Museo Salvador Dalí in Figueres setzten für ihre 3D-Tour auf die Software Matterport. Entwickelt für Makler als nützliches Tool zum Verkauf von Immobilien, bietet sie neben der virtuellen Panoramatour einen Grundriss, 3D-Modelle wie eine Puppenstubenansicht oder den Anblick einzelner Etagen. Dadurch behält man stets den Überblick. Sie lässt sich abspielen, aber auch jederzeit anhalten, damit man Infopunkte und Hotspots anklicken oder sich das von Dalís selbst entworfene Mae West Lippensofa „Saliva“ näher anschauen kann. Voraussetzung ist allerdings eine stabile und leistungsfähige Internetverbindung.

Art Connected – Screenshot von der Web Graphics Library des British Museums

Kunst in virtueller Realität

Die mit Abstand aufwendigste Produktion bei Google „Arts & Culture“ ist das in Kooperation mit dem British Museum entstandene The Museum of the World. Wie bei der virtuellen Bibliothek auf der Kulturplattform Europeana wirkt das Informationsangebot der Web Graphics Library auf den ersten Blick erdrückend. Mittels einer Zeitschiene bewegt man sich dann aber recht spielerisch durch die Kulturgeschichte der Erde. Für jeden der Kontinente Europa, Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien existiert ein eigener Erzählstrang. Darauf markieren farbige Punkte alle Meilensteine der jeweiligen Kultur und Epoche. Per Filter lasen sich die thematisch eingrenzen. Wählt man eines aus, öffnet sich ein Fenster. Darin befindet sich eine Ansicht des Objekts samt Angabe seines Fundortes auf Google Maps sowie eine geschriebene und eine von Experten des Museums eingesprochene Beschreibung. Das älteste Objekt auf dieser Zeitleiste stammt aus Afrika. Es entstand in der Steinzeit, 2 Millionen Jahre vor Christus.

Damit sind wir bei den interaktiv gemachten Erfahrungen, die der reale Gang ins Museum gar nicht leisten kann. Mehr als 20.000 Besucher pilgern in Paris täglich zur Mona Lisa. Ein Glaskasten schirmt das Gemälde weiträumig ab. Anlässlich des 500. Todestages von Leonard da Vinci 2019 startete der Louvre sein virtuelles Experiment Mona Lisa: Beyond the Glass. Mittels VR-Technik überwinden wir die Absperrung, können uns allein und ganz nah vor das wohl berühmteste Gemälde der Welt stellen. Tausende von Aufnahmen sind erforderlich, um solch ein Digitalisat zu erstellen. Dank ultrafeiner Auflösung lässt sich jedes noch so winzige Detail darin scharf stellen. Dazu gibt es Hintergrundwissen in Sound, Text und Video. Möglich macht das die App Viveport. Ihre Nutzung ist 14 Tage lang kostenlos.

Screenshot vom Besuch der virtuellen Gallery of Honor

Für Close-ups einiger Meisterwerke lohnt auch ein Abstecher in die Gallery of Honor des Rijksmuseums. Deren Anwendung ist herausragend benutzerfreundlich. Sie läuft im Browser auf allen digitalen Endgeräten. Es gibt eine englische Sprachversion. Der Button zum Öffnen des Grundrisses bleibt einem ständig als Orientierungshilfe zur Seite. Nach Lust und Laune sowie im eigenen Tempo navigieren wir bequem ganz nah heran an Rembrandts Nachtwache. Infopunkte zeigen an, wo Beschreibungen abgeholt werden können. Die dort ebenfalls hinterlegten Audioguides sind kleine Meisterwerke kunsthistorischer Vermittlungsarbeit.

Was Kunsthistoriker mittels Augmented Reality für daheim gebliebene Kunstfreunde aus ihrer Sammlung herausholen können, zeigen auch zwei Wiener Museen, die Albertina und das Belvedere. Dazu öffnet man die App Artivive auf seinem Smartphone und richtet das Gerät auf eines der Gemälde von der jeweiligen Museumswebseite – entweder direkt auf den Monitor oder einen Papierausdruck. Sobald die App erkannt hat, um welches es sich handelt, übermittelt sie einem per Überblendung Ergebnisse aufwendiger maltechnischer Untersuchungen. Egon Schiele zum Beispiel hatte seine Edith ursprünglich im bunten Rock gemalt. Als er das Werk so zur 49. Secession einreichte, habe der damalige Direktor ihn angewiesen, es zu übermalen. Das Bunte erschien ihm zu kunstgewerblich und unpassend für sein Museum.

Pumpkin von Yayoi Kusama im rein virtuellen Japanese Art Museum in the Cloud

Neben solchen Museen mit Öffnungszeiten gibt es welche, die existieren nur in der Cloud. Der Unternehmer Georg Kremer beispielsweise ließ sich für seine Sammlung vom Architekten Johan van Lierop ein digitales Museum bauen. Über die App Viveport öffnet sich die Kremer Collection. Sie umfasst 74 eindrucksvolle Werke niederländischer und flämischer Kunst des 17. Jahrhunderts. Alle Gemälde wurden als dreidimensionale Objekte digitalisiert. So kann man sie sogar von hinten betrachten, was spannend ist, weil Maler gelegentlich auch dort ihre Spuren hinterließen. Seit zwei Jahren gibt es Kremers Museum. Neben dem Metropolitian wirkt es jung, doch ein Blick nach Asien lässt es beinah alt aussehen. Im Japanese Art Museum in the Cloud lässt sich Yayoi Kusamas gelbschwarzer Kürbis anheben und durch den virtuellen Raum wirbeln. Das grenzt an Gaming.

Weitere nützliche Links

Fotohinweis

Das Beitragsfoto zeigt Yayoi Kusama mit ihrem Pumpkin, aufgenommen in einer Installation für die AICHI TRIENNALE 2010 Arts and Cities ⓒYAYOI KUSAMA

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panama

das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens bis hoch nach Tromsö. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 35 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews.