*foundationClass*collective/Mc3BArts: The marginalized voices!

Change Maker des Globalen Südens – ein Kommentar zur Documenta fifteen

Der nachfolgende Beitrag entstand im Auftrag der Kunstmarktzeitung „Kunst und Auktionen“ / ZEIT Kunstverlag 2022

Kurz nach Eröffnung der Documenta fifteen sahen sich Kritiker in ihrem Vorwurf des Antisemitismus bestätigt. Nun drohen sie mit Vernichtung der Ernte von drei Jahren Vorbereitung. Hellsichtig stellte vor Wochen bereits jemand im Leserbrief an das Kasseler Straßenmagazin Asphalt die Frage: Was tun, wenn die lumbung Scheune Feuer fängt? „Bis wir das Feuer gelöscht hätten“, antwortete darauf das Artistic Team, „wäre uns das nächste Dorf aus Solidarität zu Hilfe gekommen“.

Für das erste Opfer der  flammenden Debatte jedoch kommt sie zu spät. Nach Protesten, unter anderem von Staatsministerin Claudia Roth, wurde das in der Kritik stehende Banner des indonesischen Kollektivs Taring Padi zwei Tage nach seiner Hängung erst verhüllt, dann komplett vom Friedrichsplatz entfernt. Facebook löschte alle Beiträge mit dem Hashtag #faringpadi. Was sagt das über uns aus?

Das Kollektiv erklärt, die politische Karikatur „People’s Justice“ erstmals 2002 auf dem South Australia Art Festival in Adelaide ausgestellt zu haben. Später seien diverse gesellschaftspolitische Veranstaltungen gefolgt, wie das Jakarta Street Art Festival, eine Retrospektive von Taring Padi in Yogyakarta sowie die Polyphonic Southeast Asia Art Ausstellung im chinesischen Nanjing. Was sagt das über asiatische Gesellschaften aus? Werden sie ruangrupa solidarisch beistehen, wenn Kritiker sie zur Aufgabe drängen?

Absage an das gesamte System documenta

Zur documenta 14 von Adam Szymczyk beteiligte sich ruangrupa mit ihrer Online-Streaming-Radiostation RURUradio am Gemeinschaftsprojekt von neun Sendern. Als die Einladung kam, ein Gesamtkonzept für die nächste Kunstschau in Kassel vorzulegen, sei beschlossen worden, sich nicht in das bestehende System zu integrieren, sondern die Deutschen aufzufordern, ihrerseits Teil des Weges von ruangrupa zu werden. Wie deren Ansatz aussieht, zeigt sich bis 25. September am deutlichsten im Fridericianum. Dessen Räume sind gestaltet wie Coworking places, in denen jüngst Workshops zu Design Thinking, eine Prototyping week oder Sessions eines BarCamps abgehalten wurden. Wandhohe Sketchnotes illustrieren Prozesse und Überlegungen, die im Vorfeld der Documenta stattfanden und nun im Kassel Ekosistem fortgesetzt werden sollen.

Als undefiniert und unbegrenzt bezeichnete Documenta-Chefin Dr. Sabine Schormann das hinter ihr versammelte künstlerische Team samt lumbung members. Anfangs bestand es aus 14 Initiativen. Auswahlkriterium war deren Praxis, mit der sie auf Themen der Welt oder ihrer Umgebung reagieren. Dies führte zu vielen Künstlerinnen, Künstlern und Kollektiven aus dem Globalen Süden. Diese luden ihrerseits wieder hunderte von Kreativen und Kooperationspartnern ein. Dann kam die Pandemie auf. Reiseverbote zwangen ruangrupa über Jahre zur Dauerpräsenz in Online-Meetings. Es galt, sich mit Menschen aus 30 verschiedenen Zeitzonen der Erde in anhaltenden Diskussionen und Verhandlungen auseinander zu setzen. Der schwierigste Aspekt bei diesem Prozess sei der Aufbau von Vertrauen; diese Phase hätte länger sein müssen, bekennt das Team im Rückblick selbstkritisch.

Kaum Vorbilder für Community Curating

In Deutschland ist das Konzept des Community Curating von Ausstellungen noch ein zartes Pflänzchen, es niederzutreten, ein Leichtes. Das Kunstkollektiv ruangrupa aus Jakarta übt sich dagegen seit über zwanzig Jahren in der offenen Praxis gemeinschaftlich durchgeführter Prozesse. Ziel von Partizipation ist, gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden. Dabei wird auf Urheberschaft gepfiffen, was der Westen generell nicht gern sieht. Anstelle von Eigentümern entscheidet die Gemeinschaft über die Nutzung aller Ressourcen. Bleibt am Ende etwas übrig, wird geteilt. Das gilt auch für den lumbung Kios, ein Netzwerk digitaler und analoger Verkaufsstände. Dort werden Produkte, die Akteurinnen und Akteure der Documenta fifteen geschaffen haben, direkt vermarktet, um ein nachhaltiges Einkommen zu erzielen, mit dem sie nach Ende der documenta weiter arbeiten können. Das durchkreuzt die bisher gängige Praxis, in Kassel ausgestellte Werke durch unseren professionell aufgestellten Kunsthandel international zu monetarisieren.

In der Doku „Smashing Monuments“ berichtet ein sichtlich ergriffener Mirwan Andan aus dem Kernteam von ruangrupa was ihn und andere antreibt, Dinge so grundlegend anders zu machen: Jakarta droht Überflutung. Die Lage der Megalopolis mit ihren 32 Millionen Einwohnern ist so aussichtslos, dass die Regierung vor zwei Jahren den Umzug nach Borneo beschloss. Indonesien ist leider nur eines der Beispiele für den Kampf ums Überleben. Menschen aus diversen Regionen der Erde erzählen uns in Kassel ihre Geschichte. Es sind Berichte über Gewalt, strukturelle ebenso wie individuelle. Nun lassen sich alle Probleme mit Darwin lösen. Dann überleben nur die Stärksten. Oder aber wir alle. Doch dazu müssten wir einander erst einmal zuhören, dann reden und Vertrauen zueinander aufbauen, dann kollaborativ an einer Zukunftsperspektive arbeiten. Die Documenta fifteen ist auf dem Weg, ein nachhaltiges Beispiel für Best Practise zu werden. Wenn wir es denn zulassen würden.

Titelfoto: foundationClasscollective/Mc3BArts: The marginalized voices! 2022. Siebdruck auf Textil. Ausstellungsansicht vom Documenta-Ort Hafenstrasse 76.

Veröffentlicht von

panama

das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens bis hoch nach Tromsö. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 35 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews.