Der nachfolgende Bericht entstand im Auftrag der Landeszeitung. Veröffentlicht wurde er am 7. April 2022 im sh:z / Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag GmbH & Co KG, Flensburg.
Immer, wenn über die Vergangenheit gesprochen wird, ist auch von der Zukunft die Rede. Dieser Satz stammt aus Erich Kästners Rede 1958 vor dem Bundestag. Mit geballter Faust in der Hosentasche wurde der Schriftsteller in Berlin Zeuge, wie am Abend des 10. Mai 1933 zentnerweise Bücher brannten, darunter auch seine Werke. Zeitgleich wüteten Nationalsozialisten auf dem Kieler Wilhelmsplatz sowie später der Exe in Flensburg. es war der Auftakt zur Verfolgung jüdischer, marxistischer, pazifistischer, feministischer oder anderswie politisch unliebsamer Autorinnen und Autoren.
Annette Kelm begann das Projekt vor drei Jahren. Sie suchte nach jenen Büchern und Schriften, die Opfer der Verfemung wurden. Ein vollständiges Titelverzeichnis fehlt. Über prominente Vertreter wie Erich Kästner wurde publiziert. Selbst sein Einsatz unter Pseudonym für die Unterhaltungsindustrie des NS-Regimes ist kein Geheimnis mehr. Doch andere tauchten unter und verblieben im Exil. So starb eine frühe Vertreterin der Reportageliteratur 1942 körperlich erschöpft in Frankreich. Maria Leitner ist durch ihren 1932 veröffentlichten Band „Eine Frau reist durch die Welt“ in der Ausstellung vertreten. Annette Kelm fotografierte ihn für die Serie. Mit derselben genauen, einfach gehaltenen Inszenierung wie alle anderen der rund 100 Cover.
Betont schlicht folgt die Präsentation in der Kunsthalle der von der Künstlerin gewählten Komposition. Alle Exponate sind gleichwertig. Fotos der Einbände von Sachbüchern hängen neben denen von Kinderbüchern. Freunde der Objekt-Fotografie wissen die bis ins Detail scharfen, auf mattem Papier professionell gedruckten Motive zu schätzen.
Auch wer sich für Typographie und Buchgestaltung interessiert, findet reiche Inspirationsquellen. Kelm setzte auf Vielfalt. Es gibt politische Fotomontagen John Heartfields, Einbände mit Illustrationen wie die von Olaf Gulbransson, dem Zeichner der Satirezeitschrift Simplizissimus.
Alle zusammen sind Ausdruck eines vielstimmigen Denkens, das laut Kästner stets Schutz braucht: „Kein Volk und keine Elite darf die Hände in den Schoß legen und darauf hoffen, dass im Ernstfall genügend Helden zur Stelle sein werden.“
Annette Kelm. Die Bücher. Bis 4. September 2022 in der Kunsthalle zu Kiel.
Titelfoto: Kunsthallendirektorin Dr. Hüsch mit Künstlerin Annette Kelm bei der Pressekonferenz am 31.3.2022 in Kiel - Copyright:panama.
