Das Landesmuseum in Schleswig begibt sich 2017 mit Emil Noldes Bildern auf eine Reise in die Südsee.
Der nachfolgende Ausstellungsbericht entstand im Auftrag der Kunstmarktzeitung „Kunst und Auktionen“. Veröffentlich wurde er am 11. August 2017 im ZEITVERLAG Gerd Bucerius GmbH & Co KG, Hamburg.
Nolde geht immer, heißt es in Schleswig-Holstein, wo der „große Farbmagier“ unter den Künstlern des Expressionismus vor 150 Jahren geboren wurde. Acht Museen – von Tondern in Dänemark bis hinunter nach Wolfsburg – fanden sich anlässlich seines Geburtstages zu dem Blockbuster „Nolde im Norden“ zusammen. Emil Noldes Nähe zum NS-Regime schenkt keines dieser Häuser mehr Beachtung. Man würdigt ihn, den Superstar der Moderne, will „Vielfalt und Breite seines Schaffens“ darstellen.
Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte auf Schloss Gottorf holt dafür weit aus. Seine Ausstellung mit dem Titel „Nolde in der Südsee“ kreist um ein zentrales Ereignis im Leben des Malers: Der Teilnahme an einer Expedition nach Indonesien, organisiert vom Reichskolonialamt. Sie fällt in eine Zeit, die vom europäischen Überlegenheitsdenken geprägt war. Im Pazifik hatte sich eine Gesellschaft aus Vertretern deutscher Wirtschaftinteressen niedergelassen, um die eigene Stellung am Weltmarkt auszubauen. Unterstützung erhielt sie vom deutschen Kaiser, der ihr 1885 Hoheitsrechte für den Nordosten Neuguineas und Teile des davor liegenden Archipels übertrug. Danach nahm die zerstörerische Mission Fahrt auf. Beamte errichteten eine deutsche Verwaltung. Siedler nahmen Land für Plantagenwirtschaft in Besitz. Gewaltsam wurden einheimische Arbeitskräfte rekrutiert.
Zu den Finanziers der Neuguinea-Kompagnie zählten Berliner Bankiers, die als Mäzene und Sammler im Kontakt mit Künstlern standen. Durch diesen Kreis erfuhr Emil Nolde von der geplanten „Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea Expedition“. Ziel war die Hafenstadt Rabaul. Von dort aus sollten Ärzte Gesundheitsrisiken der indigenen Bevölkerung erforschen. Unter der Bedingung, dass er die Tour selbst finanziert, durften Nolde und seine Frau Ada „im privaten Anschluss“ mitreisen. In der Nacht zum 3. Oktober 1913 brechen sie auf. Per Bahn geht es durch Russland und China nach Korea. Von dort schiffen sie sich Richtung Japan ein. Einige Tage machen sie Station in Tokio. Danach geht es weiter über Shanghai und Hongkong auf die Philippinen. Endlich, zehn Wochen nach ihrem Aufbruch in Berlin, landen sie in Rabaul, seit 1909 Sitz des Gouverneurs von Deutsch-Neuguinea.
Gut fünf Monate währt der Aufenthalt in der Südsee. Reich an Eindrücken aber früher als geplant, begeben sich der Maler und seine Frau auf die Rückreise. Im Gepäck sind 19 Ölgemälde, hunderte farbiger Kreideskizzen und Aquarelle. Ein Großteil davon befindet sich im Besitz der Emil und Ada Nolde Stiftung. Er habe den Schleswigern rund 160 Werke zu diesem Sujet ausgeliehen, berichtet Dr. Christian Ring, Direktor in Seebüll. Darunter seien auch viele der Ölbilder, die Nolde als Gast des Bezirksamtmannes auf der Insel Neumecklenburg malen konnte. Lebensbedrohlich an einer Darminfektion erkrankt, besaß Nolde wochenlang nicht die Kraft zum Arbeiten. Erst als ihm Mitte März Raum im Arresthaus der Station Käwieng überlassen wird, packt er seine Ölfarben aus und nutzt die Chance, Leinwände zum Trocknen aufhängen zu können – eine Geduldsprobe bei tropisch hoher Luftfeuchtigkeit. Dabei entstand das zentrale Motiv der Ausstellung, Noldes „Palmen am Meer“. Neben so bekannten Gemälden wie diesem gab die Stiftung auch Aquarelle sowie eine Vielzahl kleiner Skizzen auf chinesischem Blockpapier heraus, darunter 35 noch nie öffentlich gezeigte Pastellkreidezeichnungen. Diese winzigen intimen Blätter zeigen Blumen und Gräser, Landschaften und Menschengruppen. Es sind Notizen besonderer Erfahrungen und Seherlebnisse. Sie belegen, wie meisterlich der Künstler Spannung und Intensität eines Augenblicks in Farbe zu übersetzen verstand.
Im Fokus der Expedition stand die Erforschung von Epidemien. Während die Ärzte sich mit Befragung und Untersuchung der Papua beschäftigten, sah es Emil Nolde als seine Aufgabe, diese Menschen mit ihrem Schmuck, ihren Frisuren, ihrem Verhalten in Zeichnungen und Aquarellen festzuhalten. Einen offiziellen Auftrag dazu soll er nicht besessen haben. „Urvölker, Urmenschen in ihrer Urkultur“, so Kuratorin Dr. Uta Kuhl, „denen hoffte Nolde in der Südsee zu begegnen“. In einem Brief aus Käwieng an seinen Freund Max Sauerlandt begründet er sein Interesse mit den Worten: „Wir leben in der Zeit, wo die ganzen Urzustände und Urvölker zugrunde gehen, alles wird entdeckt und europäisiert. Nicht einmal eine kleine Fläche erster Urnatur mit Urmenschen bleibt der Nachwelt erhalten. In 20 Jahren ist alles verloren. In 300 Jahren grübeln, quälen sich und graben die Forscher und Gelehrten, um tastend etwas zu erfassen vom Köstlichsten, das wir hatten, von der primitiven Geistigkeit, die wir heute so leichtsinnig und schamlos vernichten. Die Urmenschen leben in ihrer Natur, sind eins mit ihr und ein Teil vom ganzen All. Ich habe zuweilen das Gefühl, als ob sie nur noch wirkliche Menschen sind, wir aber etwas wie verbildete Gliederpuppen, künstlich und voll Dünkel. Ich male und zeichne und suche einiges vom Urwesen festzuhalten.“ Das erweist sich als gefährliche Angelegenheit.
Nolde schätzte Artefakte der Urvölker. Vielfach hatte er sie im Völkerkunde Museum abgezeichnet – Beispiele hängen in Schleswig. Von Neugier getrieben dringt er in den Lebensraum des Inselvolkes ein, was als Bedrohung empfunden wird und Noldes Sehnsucht nach Paradiesischem dämpft. Er fühlt die stets präsente Gefahr, getötet zu werden, zeichnet deshalb eilig und unter Hochspannung wie er später im Memoirenband Welt und Heimat zugibt: „Einige Meter von mir entfernt stand der größte Kerl und der schönste von allen. Wir ersuchten ihn, ein wenig näher zu kommen. Das tat er nicht. Mit überlegener Gebärde, seinen Speer in der Hand, schaute er mich an. Ich zeichnete ihn und malte. Zur Rechten neben mir lag der gespannte Revolver und hinter mir stand, den Rücken deckend, meine Frau mit dem ihrigen, ebenfalls entsichert.“ Aus der Szene resultierte das Aquarell „Eingeborener mit Waffen“. Dieses und weitere zwei Dutzend Porträts sind dank Mithilfe der auf Gottorf ansässigen Stiftung Horn ebenfalls zu bewundern und zeigen uns: Nolde geht immer – seine Bilder locken uns nach hundert Jahren immer noch.
Foto: Emil Nolde (1867-1956), Palmen am Meer © Nolde Stiftung Seebüll
Schleswig „Nolde in der Südsee“, Landesmuseen Schloss Gottorf, bis 3. September 2017. www. Schloss-gottorf.de und www.nolde-im-norden.de