Zuerst erschienen auf landesblog.de. Siehe dort auch „Die Spaltung oder Vom Glück der Bullerbü-Kinder“ vom 15.01.2018 und „Schlusslicht beim Bildungsmonitor“ vom 18.02.2012
Die Landesregierung will 120 Kulturvermittler auf Ganztagsschulen in Schleswig-Holstein verteilen. Dort sollen sie Kulturprojekte umsetzen. Diese Initiative „Kultur trifft Schule – Schule trifft Kultur“ läuft ab Januar 2015 für drei Jahre. Zur Hälfte werden Lehrkräfte für diese Aufgabe angeworben. Künstlerinnen und Künstler bilden die zweite Gruppe. Deren Projektarbeit finanziert die Mercator-Stiftung aus Essen im Rahmen ihres Programms „Kreativpotentiale” mit insgesamt 500.000 Euro.
Förderung aus NRW
Vergangenen Freitag unterzeichneten Schleswig-Holsteins Kulturministerin Anke Spoorendonk und Bildungsministerin Britta Ernst zum Ende ihrer Pressekonferenz im Musikraum der Kieler Gelehrtenschule eine Fördervereinbarung mit der Mercator-Stiftung aus Essen. Offen ließen die Ministerinnen und Dr. Tobias Diemer, Leiter des Bereiches Bildung der Mercator-Stiftung, wie die Umsetzung ihrer Initiative konkret aussehen soll.
Qualifizierung zu Multiplikatoren
Rein rechnerisch kämen auf jeden der 60 engagierten Künstler im Schnitt jährlich 2.777 Euro. Von einem Bonus für die eingebundenen Lehrkräfte war nicht die Rede. Auch nicht davon, dass es während der Qualifizierungsphase im Jahr 2015 bereits Honorar geben soll – sie sei in Module aufgeteilt, „insgesamt zehntägig ausgelegt und für die Beteiligten kostenfrei“, heißt es in der Pressemitteilung. Anke Spoorendonk dankte der Mercator-Stiftung für ihre Unterstützung und erklärte: „Das Land steuert die Kofinanzierung im selben Umfang bei. Das tun wir, indem wir die Infrastrukturleistung erbringen“.
Geplant ist, die Ausgewählten auf Bildungs- und Kulturinstitutionen zu verteilen, also zu Volkshochschulen und in Museen oder Theater zu schicken. Dort sollen sie sich abgucken, wie Profis Kultur an Kinder und Jugendliche vermitteln, um eigene Projekte zu entwickeln, die sie an Schulen erproben, um daraus theoretische Grundlagen zu gewinnen. Erst danach, „in den Folgejahren“, erfolgt die „praktische Vermittlungs- und Beratungsarbeit“, für die qualifizierten Multiplikatoren Honorar aus dem Mercator-Budget in Aussicht gestellt wird.
Fachanforderungen werden überarbeitet
Das „Jahr der kulturellen Bildung“ habe die Grundlage geschaffen, so Britta Ernst, für das neue Programm. Alle fünf Schulen, die 2014 das Prädikat „Kulturschule“ erhielten, sollen mit den Referenzschulen verknüpft werden. Sie dienen später als Hospitationsorte, bei denen man sich Inspiration für gute kulturelle Bildung holen könne. 2014 waren das eine Grundschule, eine Gemeinschaftsschule sowie drei Gymnasien aus Schleswig-Holstein. Jede der Schulen hatte vom Ministerium 5.000 Euro erhalten, mit denen weitere Projekte finanziert werden konnten. Bei der an die Pressekonferenz anschließenden Abschlussveranstaltung sollten Vertreter dieser fünf zudem sogenannte Kulturpässe erhalten. Das sind Order mit vorgefertigtem Register, in die Schülerinnen und Schüler Belege für private wie schulische Kulturaktivitäten einheften sollen, um ein Abschlusszertifikat zu bekommen. Ausgenommen sind Unterrichtsinhalte. Dr. Tobias Diemer lobt die Evaluation der Schulen, insbesondere das Evaluationsportal LeOniE³, sowie die von Ministerin Britta Ernst angekündigte Überarbeitung der Fachanforderungen, ehemals „Lehrpläne“, für Kunst und Musik an allgemeinbildenden Schulen. Sie seien wesentliche Ansatzpunkte für die von ihm vertretene Stiftung gewesen, mit dem eigenen Programm „Kreativpotentiale“ an das Vorhaben der Landesregierung anzuknüpfen.
Abschlussveranstaltung in der Kieler Gelehrtenschule
Folgerichtig wäre gewesen, die Abschlussveranstaltung zum „Jahr der kulturellen Bildung 2014“ in einer der prämierten Kulturschulen stattfinden zu lassen. Mit der Kieler Gelehrtenschule, zweitälteste Schule des Landes, hatten die Ministerinnen für den Freitagnachmittag jedoch einen Kulturort der ersten Stunde ausgewählt, der auf ihr ministerielles Prädikat nicht mehr angewiesen ist. Das traditionsreiche Gymnasium besitzt beispielsweise einen Unterstufenchor, den die bekannte Kieler Sopranistin Anne-Beke Sonntag leitet. Es bietet klassenübergreifende Bläsergruppen für seine Sextaner an, besitzt ein eigenes Label für elektronische Musik und ist stadtbekannt für seinen stimmungsvollen Weihnachtsgottesdienst in der Hauptkirche St. Nikolai, bei dem die Weihnachtsgeschichte von Schülerinnen und Schülern aller Klassenstufen auf Latein und Griechisch auswendig (sic!) vorgetragen wird, bei dem alle Chöre, Musikgruppen und Orchester der Schule und selbst der Rektor Jahr für Jahr musikalisch involviert sind. Das jüngste Musicalprojekt der Schule hatte erst kürzlich nach einem Jahr Probenarbeit Premiere. An diesem Mammutprojekt waren nicht nur drei Musiklehrer der Schule beteiligt sondern auch Felix Lüttig von der Musikhochschule Lübeck. Selbst Schulleiter Schöneich hatte als „special guest“ eine Rolle im Stück übernommen.
Daraus eine Kostprobe anbieten zu können, hätte der Schule in ihrer Rolle als Gastgeberin für die zahlreichen Vertreterinnen und Vertreter aus Ministerien, von Kulturverbänden und Kultureinrichtungen des Landes gebührt. Stattdessen wurde eine Poetry Slammerin aus Hamburg geholt. Ihr Beitrag war einer unter fünf Darbietungen aus dem Bereich kultureller Bildung, mit dem Schleswig-Holsteins Regierung einen Rückblick auf ihre erfolgreiche Kulturpolitik im Jahr 2014 feierte — und einen Ausblick auf ihr nächstes Vorhaben 2015 gab: „Keine Sahnetorte — aber ein Stück Schwarzbrot fürs Leben“, diesen Untertitel hatte Ministerin Anke Spoorendonk für ihre Festrede gewählt. Sie schloss mit den Worten: „Wie ein Stück Schwarzbrot, das uns neue Kraft gibt. Denn Kultur und unsere, mit dieser eng verknüpften, humanistischen Werte sind wesentlich für den Zusammenhalt und den Geist in unserer Gesellschaft“.
Persönlicher Kommentar zum Abschluss
Bevor es ans Backen geht, sollte über die Zutaten noch einmal mit jemandem gesprochen werden, der sich mit Schwarzbrot auskennt. Am Rande der Pressekonferenz hörte ich, dass Anfang Dezember ein Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der Kulturverbände ansteht. Das stimmt mich zuversichtlich. Dass ndr-Moderator Andreas Schmidt die Begrüßung der Gäste in der Schulaula übernahm, eine Aufgabe, die dem Hausherrn zugestanden hätte, wird mich dagegen noch länger beschäftigen. Der Oberstudiendirektor blieb am Rande, während die Politikerinnen und ihre Entourage in den ersten Reihen sich selbst feierten: Schule trifft Politik — Politik trifft Schule.