Kolumnenbeitrag für die Fachzeitung „Kunst und Auktionen“, erschienen am 2. Mai 2011 im ZEIT Kunstverlag, Hamburg.
Legen Sie sie weg, diese Kolumne. Sofort. Lesen Sie keinesfalls weiter! Sie gefährden Ihre Gesundheit. Stopp jetzt!!
Bibliotherapien haben ernste Folgen, mahnt Psychologe Volker Faust von der Ulmer Universität – im Guten wie im Schlechten. Er verweist auf Aristoteles, der die Heilkraft des Lesens beschrieb. So sollen Tragödien den Menschen von Leidenschaften befreien oder diese reinigen. Lustspiele, können wir bei Jean Paul lesen, zeigen Wirkung gegen Lungengeschwüre und Rheumatismus. Montesquieu erwähnt Romane, Lebenserinnerungen oder Lobreden als Abführ- und Brechmittel. Kein Wort allerdings zu Glossen. Das heißt aber nichts, womöglich nichts Gutes.
Kürzlich meldete eine Nachrichtenagentur, Günter Grass und Nina Hagen würden vor dem Atomkraftwerk Krümmel lesen. Auch Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer wolle ihre Stimme gegen den Atomstrom erheben. Den Anfang dieser alternativen Lesereihe mache Harry Rowohlt. Ja, Himmel auch: Was müssen das für Geschütze sein, mit denen sich gegen eine international vernetzte Atomlobby antreten lässt?
Torstbüchlein für Zeiten des Leids mit Betrachtungen über Größenwahn, den Schmerz und wie man damit fertig wird. Die wurden allezeit gierig verschlungen und gern auch mal geklaut. Anfangs half dagegen ein Bücherfluch. Der klebte im Innendeckel des Buchs und sollte vorsorglich Diebe, Kopisten und das Ferkel fernhalten. Spätestens mit der Aufklärung waren Flüche bloß noch ein guter Witz. Dafür kam die Kette. Mit ihr blieb das Buch im Kloster am Lesepult.
Heute, so scheint es, haben wir uns damit abgefunden, dass Bücher massenhaft verschwinden. Es ist ein weit verbreitetes Phänomen, das keineswegs auf der Leipziger Buchmesse haltmacht. Dort lasse sich der Schwund angeblich mit dreißig Prozent beziffern. Wird ein Titel nicht geklaut, stimmt was nicht mit ihm. Eine stetig wachsende Zahl gestohlener Bücher melden auch Bibliotheken und Buchhandlungen.
Mundraub oder Diebstahl? Die Bücherdiebin von Bestsellerautor Markus Zusak klaut ihr erstes Buch im Blickfeld des Todes, um einen unerträglichen Schmerz zu betäuben. Ihr Bruder starb. Bei seiner Beerdigung schnappt sie sich das Handbuch für Totengräber. Damit lernt sie lesen. Eine Zeit des Glücks bricht für sie an, der Hoffnung. Mit Liesel entwirft Zusak ein interessantes Grundmuster leichter Bibliomanie.
Nicht der Wert eines Buches lockt diesen Sammlertypus. Es ist pure Bücherlust. Bei Verzicht steht seine psychosoziale Gesundheit auf dem Spiel. Womit sonst lässt sich erklären, warum jemand Ian Flemings Goldfinger klaut oder die restaurierte Harry Potter-Ausgabe einer Leihbibliothek? Auf diese beiden und noch 1.500 andere Titel stoßen wir in der Datenbank „Stolen Books“ der International League of Antiquarian Booksellers (ILAB). Vermisst werden überwiegend Kostbarkeiten, darunter John Gerards Prachtband der Botanik von 1597. Dessen Wirkung auf Leser schätze ich ähnlich harmlos ein wie die von Fleming und Rowling.
Richtig scharfe Sachen müssten dazwischen aber auch stecken. Bücher, mit denen sich Atommeiler abschalten lassen, die man von Kindern fernhalten muss, und zu deren Risiken und Nebenwirkungen wir unseren Arzt oder Apotheker befragen sollten. Setdem ich im Nachtschränkchen meines Ältesten hans wandlemanns abenteuer mit lauter nackten Frauen auf dem Cover entdeckte, verberge ich meinen Sprengstoff besser, klebe ihn mit Gecko-Tape hinter Flachbildschirme oder unter seine Spielkonsole.
Früher war ich hemmungslos gierig. Frau Kronauer musste ich persönlich kennen lernen. Komisch, die Hamburger Autorin steht nirgendwo auf der ILAB-Liste. Zu jung, vermute ich, eher ein Fall für Buchmessen statt Antiquariate. Warten Sie, nicht aufgeben! Irgendwo zwischen all den Titeln der ILAB-Datenbank verbirgt sich einer, der Sprengkraft hat, einer gegen Verstopfungen aller Art, ein rechtes Brechmittel. Richtig. Hier ist er: Hanns Heinz Ewers – auf Seite 19 der Liste. Gesundheit! Wünsche Ihnen rasche Besserung.
Kolumnenbeitrag für die Fachzeitung „Kunst und Auktionen“, erschienen am 2. Mai 2011 im ZEIT Kunstverlag, Hamburg.