Die Kunsthalle zu Kiel zeigt bis 24. Juli 2016 Geschichte und Gegenwart der künstlerischen Arbeit von Miriam Cahn
Ausstellungsbericht für die Fachzeitung „Kunst und Auktionen“, erschienen am 1. Juli 2016 im ZEITkunstverlag, Berlin.
Zum Glück gibt es den Kunstmarkt; ich lebe nicht von den Institutionen“. Mit diesem Ausspruch konterte Miriam Cahn beim Presserundgang die Frage eines Journalisten nach dem Anlass ihres Kunstschaffens. Ob die Kunst Ausdruck ihres politischen Kampfes für Gleichberechtigung sei oder bloß dem Broterwerb diene, wollte er wissen. Entweder-Oder-Fragen könne sie nicht beantworten, gab die Künstlerin im Nachsatz resolut zurück.
Miriam Cahn stammt aus einer traditionsreichen Familie führender Kunsthändler, die seit mehr als 150 Jahren in Deutschland und der
Schweiz tätig sind. Ihr Vater lehrte als renommierter Numismatiker an deutschen Universitäten in Heidelberg und im Breisgau sowie in der Schweiz. Ihm wird eine wichtige Rolle in der Etablierung Basels als bedeutendes Zentrum im Antikenhandel zugewiesen. So kam die Künstlerin früh first-class bei Gilli und Diego Stampa unter, zwei Baseler Galeristen, die internationale Avantgardekunst vertreten.
Derzeit stellt Cahn in 13 Räumen der Kunsthalle zu Kiel aus. Dort entwarf die 66-jährige Schweizerin weitgehend in Eigenregie ein Gesamtbild ihres Schaffens. Nein, keine Retrospektive – diesen Begriff lehnt sie ab. Sie habe sowohl vorwärts wie rückwärts gearbeitet und ihr Werk durch eigenhändiges Arrangieren und Hängen mit denkbar einfachsten Mitteln selbst interpretiert: „Das Ausstellen ist für mich eine Art öffentlicher Kommentar, wie ich in diesem Moment über meine Arbeit denke. Das ist wie eine Aufführung für einen Musiker, eine Musikerin oder eine Lesung für Dichter.“
Rund 130 Werke entsandte die streitbare Künstlerin dafür an die Kieler Förde. Darunter sind Bilder aus vier Jahrzehnten, einige neueren Datums in Öl auf Leinwand, aber auch Zeichnungen aus den frühen achtziger Jahren mit Kreide oder Kohle auf großformatigen Pergament- und Papierbögen. Kurz vor Eröffnung der Kieler Ausstellung wurde bekannt, dass Adam Szymczyk die in Graubünden lebende Künstlerin zur Teilnahme an der Documenta eingeladen hat. Eine zweite Chance – 1982 hatte Kurator Rudi Fuchs ohne Rücksprache Arbeiten von ihr abhängen lassen, angeblich, um Platz für einen weiteren Künstler zu schaffen. Aus Protest zog Miriam Cahn vor der Eröffnung ihre Kunst aus der Schau zurück.
Im Zentrum ihrer Einzelausstellung mit dem Titel „Auf Augenhöhe“ steht die Rauminstallation „RAUM-ICH/ räumlich-ich“ aus dem Jahr 2010. „Natürlich bin das alles ich, und gleichzeitig nicht ich …“, bekennt Miriam Cahn und verweist auf zehn Selbstbildnisse in Öl auf Leinwand, die in chronologischer Reihenfolge an den Wänden des Raums Spalier stehen. Sie folgt unserem skeptischen Blick zum Abbild eines nackten Mannes mit rot leuchtendem Penis und ergänzt: „… selbst ich als Mann“. Im Katalog heißt es dazu: „Wir hatten dieses Gleichheitsgefühl in den 80er-Jahren in Basel. Bei Stampa war das am Anfang egal. Jeder macht seine Arbeit – egal ob Mann oder Frau. Das muss man aber eingebettet sehen in die politische Situation in Basel damals nach ’68. Das war eine offene Zeit.“
Stampa zeigte damals Kunst der Video-Pioniere. Dieses junge Medium bot einen neuen Zugang zur Kunst, losgelöst von einem mit Pathos geladenen Werkbegriff. Einfach sollten die Mittel sein. Nicht Schönheit, sondern der Ausdruck war wichtig. Alles war gleich viel Wert: „Ich werfe grundsätzlich nichts fort!“, betont die Künstlerin, angesprochen auf ihr riesiges Werkdepot.
Über das Erforschen des eigenen Körpers und der eigenen Identität gelangt Miriam Cahn in den siebziger Jahren zur Performancekunst. Sie malt mit Fingern, begreift ihren Körper als Instrumentarium, hinterlässt mit ihm Abdrücke auf großformatigen Kohlestaubzeichnungen – gekennzeichnet mit „L. I. S.“, was für „Lesen in Staub“ steht. Um sich der Kontrolle durch ihr im Grafikstudium akademisch geschultes Auge zu entziehen, malt sie auch blind – so entstand die Werkserie „M. G. A.“ „mit geschlossenen Augen“.
Biografische Ereignisse wie Fluchterlebnisse in der eigenen Familie, der frühe Tod der Schwester und ihre Position als Künstlerin in einer männlich dominierten Welt geben Miriam Cahn die Sicherheit, sich künstlerisch zu den jederzeit aktuellen Themen wie Flucht und Migration, Geschlechterkampf, Krieg und Gewalt, Unterdrückung und Macht zu äußern. Charakteristisch für ihre Darstellung ist die Distanzlosigkeit zum Betrachter. Dadurch werden Emotionen ausgelöst, die uns zwingen, Position zu beziehen. Ein Effekt, der an Cahns Serie „atombomben“ zu beobachten ist.
Auf Aquarellpapier ließ die Künstlerin Magenta, Yellow und Cyan explodieren und hielt während des Arbeitsprozesses die Blätter senkrecht, sodass die Farben ineinander verlaufen konnten. Die Resultate wirken im ersten Reflex betörend schön: „farbmächtig, elegant und fließend“, heißt es dazu im Katalog, wie ein mit Staub und Asche angereicherter Atompilz, der nach der Detonation einer Bombe aufsteigt. Aufsteigt? Auf Blättern, die hoch an der Wand angebracht wurden, schießt Farbe Richtung Boden und lässt an einen Fallout, einen radioaktiven Niederschlag denken. In dieser Serie paart sich Schönheit mit Schrecken, so eindringlich, dass sie geradezu körperlich nachvollziehbar wird. Miriam Cahn nennt das den „Atombombeneffekt“ und will damit stetig weiter experimentieren, selbst bis an den Rand der eigenen Schamgrenze: „Manche meiner Darstellungen machen Menschen tatsächlich geil – warum auch nicht? –
ich sehe das am Kaufverhalten.“